Die Weihe (Andere Gedichte)
Einsam in der Waldkapelle, Vor dem Bild der Himmelsjungfrau, Lag ein frommer, bleicher Knabe Demuthsvoll dahingesunken.
O Madonna! laß mich ewig Hier auf dieser Schwelle knien, Wollest nimmer mich verstoßen In die Welt so kalt und sündig. O Madonna! sonnig wallen
Deines Hauptes Stralenlocken; Süßes Lächeln mild umspielet Deines Mundes heil’ge Rosen. O Madonna! deine Augen Leuchten mir wie Sternenlichter;
Lebensschifflein treibet irre, Sternlein leiten ewig sicher. O Madonna! sonder Wanken Trug ich deine Schmerzenprüfung, Frommer Minne blind vertrauend,
Nur in deinen Gluten glühend. O Madonna! hör mich heute, Gnadenvolle, Wunderreiche, Spende mir ein Huldeszeichen, Nur ein leises Huldeszeichen.
Da thät sich ein schauerlich Wunder bekunden, Wald und Kapell sind auf einmahl verschwunden; Knabe nicht wußte wie ihm geschehn, Hat Alles auf einmahl umwandelt gesehn. Und staunend stand er im schmucken Saale,
Da saß Madonna, doch ohne Stralen; Sie hat sich verwandelt in liebliche Maid, Und grüßet und lächelt mit kindlicher Freud’. Und sieh! vom blonden Lockenhaupte Sie selber sich eine Locke raubte,
Und sprach zum Knaben mit himmlischem Ton: Nimm hin deinen besten Erdenlohn! Sprich nun, wer bezeugt die Weihe? Sahst du nicht die Farben wogen Flammig an der Himmelsbläue?
Menschen nennen’s Regenbogen. Englein steigen auf und nieder, Schlagen rauschend mit den Schwingen, Flüstern wundersame Lieder, Süßer Harmonien Klingen.
Knabe hat es wohl verstanden, Was mit Sehnsuchtglut ihn ziehet Fort und fort nach jenen Landen, Wo die Myrte ewig blühet.
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:44 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
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