Mama (Andere Gedichte)
Mama. Durchs grün umrankte Fenster blickt Die Sonne ins Gemach. Grossmutter sitzt und nickt und strickt, Sie nickt den ganzen Tag.
Ihr Haar ward weiss; es grub die Zeit Viel tiefe Furchen ein. Zu ihren Füssen tändelnd kniet Ihr jüngstes Enkelein. „Was nickst du denn so immerzu?"
Die kleine Unschuld spricht; „Grossmutter! gar nicht schön bist du! Dein Haar gefällt mir nicht – Und überm Auge auf der Stirn Die grosse Falte da!
Es ist Mama viel schöner doch! Wie schön ist doch Mama!" Grossmutter sieht den Liebling an: „Schönheit vergehet bald! Das Alter hat’s mir angetan,
Und auch Mama wird alt!“ „Mama!?“ – Des Kindes Aug’ umzieht Ein Hauch von Kümmernis – „O nein! Mama bleibt immer schön, Das weiss ich ganz gewiss!"
Karl Siebel
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:27 von 2rhyme
Autor: Karl Siebel
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