Zwei Seelen (Fabeln)
Zwei Seelen wohnen - ach - in meiner Brust Nicht zwei – ein Dutzend müssen es wohl sein Und jede kämpft um ihre eigne Lust Und wünschte stets die Wichtigste zu sein
Die erste Seele trägt nur weisse Kleider Sie will und tut nichts Böses auf der Welt Sie strebt nach edlen Werten nur, was leider Den andern elfen nicht so sehr gefällt
Die zweite ist viel stärker eingebunden Sie meint die Dinge richtig anzugeh’n Doch hat dann wirklich etwas stattgefunden Hat sie die grösste Mühe zu versteh’n
Die dritte wiederum ist dienstbeflissen Sie möchte immer alles richtig tun Doch ist bei ihr der Faden mal gerissen Läuft sie Amok wie ein verstörtes Huhn
Die vierte und die fünfte haben Mücken Denn jede will just nur das Gegenteil Der andern - und das hat natürlich Tücken - Bringt beiden nicht das angestrebte Heil
Die sechste weiss hingegen alles besser Sie hält sich einfach für das Über-ich Sie ist so gütig wie ein Küchenmesser: Sie macht den Schnitt und du bekommst den Stich
Die siebte hält sich meistens in Reserve Und wartet, was die achte jeweils macht Ganz ungeachtet, ob das diese nerve Denn was sie macht, das macht sie mit Bedacht
Die neunte ist dann wieder kreativer Die kümmert sich nicht um den guten Ton Je ausgefallner, desto intensiver Geniesst sie jede Antitradition
Die zehnte hat das alles aufgeschrieben Sie glaubt, sie könne alles überseh‘n Auch sie wär’ dennoch gern allein geblieben Wer ist schon gern die Seele Nummer zehn?
Die elfte schliesslich hat den Elfenfimmel Und hält sich selbst für ein Mysterium Sie glaubt sie sei auf Erden schon im Himmel Und surft von früh bis spät im All herum
Die zwölfte scheint von all dem nicht betroffen Sagt wenig, lässt den Dingen ihren Lauf Doch für die andern will sie still nur hoffen Sie nähme all das nicht umsonst in Kauf
Ernst Bannwart
aus "Ernsthaft heiter"
Eingetragen am 30.05.2011 10:35:33 von Ernst Bannwart
Autor: Ernst Bannwart
Quelle: Eigenes Gedicht
Weitere Informationen unter: erbacom@pop.agri.ch
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