Der Stein (Gedanken)
Der Stein
Es war einmal ein Stein, der wollt’ nicht länger Stein sein. Er fand das Leben so zu hart und wollte fort auf große Fahrt.
Er wäre nämlich lieber weicher, beweglicher und auch steinreicher. Er dachte ans Auswandern, von einem Stein zum andern, um so endlich etwas zu erfahren, vom Leben und seinen Gefahren.
Er drehte sich ganz langsam um und eh’ er sich ’s versah – schrumm- kam er, ohne es noch recht zu wollen, schon ganz rund und schnell ins Rollen.
Erst rollte er noch weich durchs Gras, dann sprang er wie ein Osterhas’, über eines Berges steilen Rand, wo er an ’ne Lawine Anschluss fand. Gemeinsam rollte man im Sturm zu Tal, doch viel zu schnell, es war ’ne Qual.
Er hatte noch nichts von der Welt gesehen, da blieb die Lawine plötzlich stehen. Der Stein, müde noch vom Toben, wurde einfach in den Bach geschoben.
Da kam er zwar kalt und nass zu liegen, doch erst einmal war er ’s zufrieden. Das Wasser war recht flach klar und die Aussicht war ganz wunderbar. Er sah wie Steine sich zu Häusern türmten und Autos über Pflastersteine stürmten.
Er wurde von der Strömung fort getrieben, und sah, wie andere Steine sich zerrieben, aneinander stießen, wie beim Billard spielen und dabei in tausend in Stücke zerfielen.
Ja, er wollte weiterhin noch weicher sein, doch zu feinem Sand zerfallen: NEIN! Das Schleifen wollte er sich wohl gefallen lassen, vielleicht würde man ihn dann in ein Geschmeide fassen? Niemand sollte ihn als Scheuersand verwenden und in keiner Sanduhr sollte doch sein Leben enden.
Der Bach schob den Stein ganz munter fort, von einem zu dem andern Ort. Eines schönen Tages fiel der Stein, auf einmal in den Vater Rhein.
Das Flussbett war finster und tief, der Stein in seinem Kiesbett schlief. Doch auch der Rhein schob ihn weiter und wurde am Ende viel breiter, schob den Stein übern Meeresrand, wo er sich im Salzwasser wieder fand.
Ein Walfisch verschluckte den Stein, der sollte als Mahlstein im Magen sein. Er trug den Stein zu fernen Gestaden, ohne ihm damit zu schaden.
Dort schied er ihn dann wieder aus, er wurde ans Ufer getragen mit Wogengebraus. Ein Vogel trug ihn fort ins steinerne Nest, dort hielt der Stein das Gelege ganz fest. Darin gedieh des Vogels gefiederte Brut, das gefiel unserem Stein sehr gut.
Da wurde dem Stein ums Herz ganz weich, er fühlte sich innerlich wirklich reich. Er war weit herum gereist und abgeschliffen, da erst hatte er es richtig begriffen:
Ob man nun weich ist oder sehr hart, so ist jeder Stein auf seine eigene Art, in dieser Welt auf seinen Platz gestellt, damit sich ein anderer an ihm prellt, als einem Stein des Anstoßes vielleicht, der den anderen zur Einsicht gereicht?
Oder vielleicht als ein Stein der Weisen, um die Schöpfung zu preisen? Als Markstein, um die Richtung zu zeigen, wohin sich all unsere Wege neigen? Als ein Gedenkstein zur Erinnerung daran, wo unser Weg endet und wo er begann?
Man muss kein rauer Stein sein, muss nicht hart scheinen oder sein, man muss nur die Steine wegräumen, die zwischen uns liegen und unseren Träumen!
J.W. 2021
Eingetragen am 30.08.2022 11:06:15 von Federstilzchen
Autor: Jens Wohlkopf
Quelle: Eigenes Gedicht
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