Unterwelt (Andere Gedichte)
Unterwelt. I. Blieb ich doch ein Junggeselle! – Seufzet Pluto tausendmal – Jetzt, im meiner Eh’standsqual, Merk ich, früher ohne Weib
War die Hölle keine Hölle. Blieb ich doch ein Junggeselle! Seit ich Proserpinen hab’ Wünsch ich täglich mich ins Grab! Wenn sie keift, so hör’ ich kaum
Meines Cerberus Gebelle.
Stets vergeblich, stets nach Frieden Ring’ ich. Hier im Schattenreich Kein Verdammter ist mir gleich! Ich beneide Sisiphus
Und die edlen Danaiden.
II. Auf goldenem Stuhl, im Reiche der Schatten, Zur Seite des königlichen Gatten, Sitzt Proserpine Mit finstrer Miene,
Und im Herzen seufzet sie traurig: Ich lechze nach Rosen, nach Sangesergüssen Der Nachtigall, nach Sonnenküssen – Und hier unter bleichen Lemuren und Leichen
Mein junges Leben vertraur’ ich!
Bin festgeschmiedet am Ehejoche, In diesem verwünschten Rattenloche! Und des Nachts die Gespenster, Sie schau’n mir in’s Fenster,
Und der Styx, er murmelt so schaurig! Heut hab’ ich den Charon zu Tische geladen – Glatzköpfig ist er und ohne Waden – Auch die Todtenrichter, Langweil’ge Gesichter –
In solcher Gesellschaft versaur’ ich.
III. Während solcherley Beschwerde In der Unterwelt sich häuft, Jammert Ceres auf der Erde. Die verrückte Göttin läuft,
Ohne Haube, ohne Kragen, Schlotterbusig durch das Land, Deklamirend jene Klage, Die Euch allen wohlbekannt: „Ist der holde Lenz erschienen?
Hat die Erde sich verjüngt? Die besonnten Hügel grünen, Und des Eises Rinde springt. Aus der Ströme blauem Spiegel Lacht der unbewölkte Zeus,
Milder wehen Zephyrs Flügel, Augen treibt das junge Reis. In dem Hain erwachen Lieder, Und die Oreade spricht: Deine Blumen kehren wieder,
Deine Tochter kehret nicht. „Ach wie lang ist’s, daß ich walle Suchend durch der Erde Flur! Titan, deine Strahlen alle Sandt’ ich nach der theuren Spur!
Keiner hat mir noch verkündet Von dem lieben Angesicht, Und der Tag, der Alles findet, Die Verlorne fand er nicht. Hast du, Zeus, sie mir entrissen?
Hat, von ihrem Reiz gerührt, Zu des Orkus schwarzen Flüssen Pluto sie hinabgeführt?
„Wer wird nach dem düstern Strande Meines Grames Bote seyn?
Ewig stößt der Kahn vom Lande, Doch nur Schatten nimmt er ein. Jedem sel’gen Aug’ verschlossen Bleibt das nächtliche Gefild, Und so lang der Styx geflossen,
Trug er kein lebendig Bild. Nieder führen tausend Steige, Keiner führt zum Tag zurück; Ihre Thräne bringt kein Zeuge Vor der bangen Mutter Blick.“
IV. Meine Schwiegermutter Ceres! Laß’ die Klagen, laß’ die Bitten! Dein Verlangen, ich gewähr’ es – Habe selbst so viel gelitten! Tröste dich, wir wollen ehrlich
Den Besitz der Tochter theilen, Und sechs Monden soll sie jährlich Auf der Oberwelt verweilen. Hilft dir dort an Sommertagen Bei den Ackerbaugeschäften;
Einen Strohhut wird sie tragen, Wird auch Blumen daran heften.
Schwärmen wird sie wenn den Himmel Ueberzieht die Abendröthe, Und am Bach ein Bauernlümmel
Zärtlich bläst die Hirtenflöte. Wird sich freu’n mit Greth und Hänschen Bei des Erndtefestes Reigen; Unter Schöpsen, unter Gänschen, Wird sie sich als Löwin zeigen.
Süße Ruh! Ich kann verschnaufen Hier im Orkus unterdessen! Punsch mit Lethe will ich saufen, Um die Gattin zu vergessen.
V. Zuweilen dünkt es mich, als trübe
Geheime Sehnsucht deinen Blick – Ich kenn’ es wohl, dein Mißgeschick: Verfehltes Leben, verfehlte Liebe! „Du nickst so traurig! Wiedergeben Kann ich dir nicht die Jugendzeit –
Unheilbar ist dein Herzeleid: Verfehlte Liebe, verfehltes Leben!“
Eingetragen am 08.11.2011 09:35:13 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
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