Kobes I. (Andere Gedichte)
Im Jahre acht und vierzig hielt, Zur Zeit der großen Erhitzung, Das Parlament des deutschen Volks Zu Frankfurt seine Sitzung.
Damals ließ auch auf dem Römer dort Sich sehen die weiße Dame, Das unheilkündende Gespenst; Die Schaffnerin ist sein Name. Man sagt, sie lasse sich jedesmal
Des Nachts auf dem Römer sehen, So oft einen großen Narrenstreich Die lieben Deutschen begehen.
Dort sah ich sie selbst um jene Zeit Durchwandeln die nächtliche Stille
Der öden Gemächer, wo aufgehäuft Des Mittelalters Gerülle. Die Lampe und ein Schlüsselbund Hielt sie in den bleichen Händen; Sie schloß die großen Truhen auf
Und die Schränke an den Wänden. Da liegen die Kaiser-Insignia, Da liegt die goldne Bulle, Der Scepter, die Krone, der Apfel des Reichs Und manche ähnliche Schrulle.
Da liegt das alte Kaiser-Ornat, Verblichen purpurner Plunder, Die Garderobe des deutschen Reichs, Verrostet, vermodert jetzunder. Die Schaffnerin schüttelt wehmüthig das Haupt,
Bei diesem Anblick, doch plötzlich Mit Widerwillen ruft sie aus: Das Alles stinkt entsetzlich!
Das Alles stinkt nach Mäusedreck, Das ist verfault und verschimmelt,
Und in dem stolzen Lumpenkram Das Ungeziefer wimmelt. Wahrhaftig, auf diesem Hermelin, Dem Krönungsmantel, dem alten, Haben die Katzen des Römerquartiers
Ihr Wochenbett gehalten. Da hilft kein Ausklopfen! Daß Gott sich erbarm’ Des künftigen Kaisers! Mit Flöhen Wird ihn der Krönungsmantel gewiß Auf Lebenszeit versehen.
Und wisset, wenn es den Kaiser juckt, So müssen die Völker sich kratzen – O Deutsche! Ich fürchte, die fürstlichen Flöh’, Die kosten Euch manchen Batzen. Jedoch wozu noch Kaiser und Flöh’?
Verrostet ist und vermodert Das alte Costum – Die neue Zeit Auch neue Röcke fodert.
Mit Recht sprach auch der deutsche Poet Zum Rothbart im Kyffhäuser:
„Betracht ich die Sache ganz genau, So brauchen wir gar keinen Kaiser!“ Doch wollt Ihr durchaus ein Kaiserthum, Wollt Ihr einen Kaiser küren, Ihr lieben Deutschen! laßt Euch nicht
Von Geist und Ruhm verführen. Erwählet kein Patrizierkind, Erwählet Einen vom Plebse, Erwählt nicht den Fuchs und nicht den Leu, Erwählt den dümmsten der Schöpse.
Erwählt den Sohn Colonias, Den dummen Kobes von Cöllen; Der ist in der Dummheit fast ein Genie, Er wird sein Volk nicht prellen. Ein Klotz ist immer der beste Monarch,
Das zeigt Aesop in der Fabel; Er frißt uns armen Frösche nicht, Wie der Storch mit dem langen Schnabel.
Seid sicher, der Kobes wird kein Tyrann, Kein Nero, kein Holofernes;
Er hat kein grausam antikes Herz, Er hat ein weiches, modernes. Der Krämerstolz verschmähte dies Herz, Doch an die Brust des Heloten Der Werkstatt warf der Gekränkte sich
Und ward die Blume der Knoten. Die Brüder der Handwerksburschenschaft Erwählten zum Sprecher den Kobes; Er theilte mit ihnen ihr letztes Stück Brod, Sie waren voll seines Lobes.
Sie rühmten, daß er nie studirt Auf Universitäten, Und Bücher schrieb aus sich selbst heraus, Ganz ohne Facultäten. Ja, seine ganze Ignoranz
Hat er sich selbst erworben; Nicht fremde Bildung und Wissenschaft Hat je sein Gemüth verdorben.
Gleichfalls sein Geist, sein Denken blieb Ganz frei vom Einfluß abstracter
Philosophie – Er blieb Er selbst! Der Kobes ist ein Charakter. In seinem schönen Auge glänzt Die Thräne, die stereotype; Und eine dicke Dummheit liegt
Beständig auf seiner Lippe. Er schwätzt und flennt und flennt und schwätzt, Worte mit langen Ohren! Eine schwangere Frau, die ihn reden gehört, Hat einen Esel geboren.
Mit Bücherschreiben und Stricken vertreibt Er seine müßigen Stunden; Es haben die Strümpfe, die er gestrickt, Sehr großen Beifall gefunden. Apoll und die Musen muntern ihn auf,
Sich ganz zu widmen dem Stricken – Sie erschrecken, so oft sie in seiner Hand Einen Gänsekiel erblicken.
Das Stricken mahnt an die alte Zeit Der Funken. Auf ihren Wachtposten
Standen sie strickend – die Helden von Cöln, Sie ließen die Eisen nicht rosten. Wird Kobes Kaiser, so ruft er gewiß Die Funken wieder ins Leben. Die tapfere Schaar wird seinen Thron
Als Kaisergarde umgeben. Wohl möcht’ ihn gelüsten, an ihrer Spitz’ In Frankreich einzudringen, Elsaß, Burgund und Lothringer-Land An Deutschland zurückzubringen.
Doch fürchtet nichts, er bleibt zu Haus; Hier fesselt ihn friedliche Sendung, Die Ausführung einer hohen Idee, Des Cölner Doms Vollendung. Ist aber der Dom zu Ende gebaut,
Dann wird sich der Kobes erbosen Und mit dem Schwerte in der Hand Zur Rechenschaft ziehn die Franzosen.
Er nimmt ihnen Elsaß und Lothringen ab, Das sie dem Reiche entwendet,
Er zieht auch siegreich nach Burgund – Sobald der Dom vollendet. Ihr Deutsche! bleibt Ihr bei Eurem Sinn, Wollt Ihr durchaus einen Kaiser, So sei es ein Carnevalskaiser von Cöln
Und Kobes der Erste heiß’ er! Die Gecken des Cölner Faschingvereins, Mit klingelnden Schellenkappen, Die sollen seine Minister sein; Er trage den Strickstrumpf im Wappen.
Der Drickes sei Kanzler, und nenne sich Graf Drickes von Drickeshausen; Die Staatsmaitresse Marizebill Die soll den Kaiser lausen. In seiner guten, heil’gen Stadt Cöln
Wird Kobes residiren – Und hören die Cölner die frohe Mär, Sie werden illuminiren.
Die Glocken, die eisernen Hunde der Luft, Erheben ein Freudengebelle,
Und die heil’gen drei Kön’ge aus Morgenland Erwachen in ihrer Capelle. Sie treten hervor mit dem Klappergebein, Sie tänzeln vor Wonne und springen. Halleluja und Kyrie
Eleison hör’ ich sie singen. – – So sprach das weiße Nachtgespenst, Und lachte aus voller Kehle; Das Echo scholl so schauerlich Durch alle die hallenden Säle.
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:17 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
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