Nächtliche Fahrt (Heine) (Andere Gedichte)
Nächtliche Fahrt. Es wogt das Meer, aus dem dunkeln Gewölk Der Halbmond lugte scheu; Und als wir stiegen in den Kahn, Wir waren unsrer drei.
Es plätschert’ im Wasser des Ruderschlag’s Verdrossenes Einerlei; Weißschäumende Wellen rauschten heran, Bespritzten uns alle drei. Sie stand im Kahn so blaß, so schlank,
Und unbeweglich dabei, Als wär’ sie ein welsches Marmorbild, Dianens Conterfei. Der Mond verbirgt sich ganz. Es pfeift Der Nachtwind kalt vorbei;
Hoch über unsern Häuptern ertönt Plötzlich ein gellender Schrei.
Die weiße, gespenstische Möve war’s, Und ob dem bösen Schrei, Der schauerlich klang wie Warnungsruf,
Erschraken wir alle drei. Bin ich im Fieber? Ist das ein Spuk Der nächtlichen Phantasei? Aefft mich ein Traum? Es träumet mir Grausame Narrethei.
Grausame Narrethei! Mir träumt Daß ich ein Heiland sei, Und daß ich trüge das große Kreuz Geduldig und getreu. Die arme Schönheit ist schwer bedrängt,
Ich aber mache sie frei Von Schmach und Sünde, von Qual und Noth, Von der Welt Unflätherei. Du arme Schönheit, schaudre nicht Wohl ob der bittern Arznei;
Ich selber kredenze dir den Tod, Bricht auch mein Herz entzwei.
O Narrethei, grausamer Traum, Wahnsinn und Raserei! Es gähnt die Nacht, es kreischt das Meer,
O Gott! o steh’ mir bei! O steh’ mir bei, barmherziger Gott! Barmherziger Gott Schaddey! Da schollert’s hinab in’s Meer – O Weh – Schaddey! Schaddey! Adonay! –
Die Sonne ging auf, wir fuhren an’s Land, Da blühte und glühte der Mai! Und als wir stiegen aus dem Kahn, Da waren wir unsrer zwei.
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:39 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
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