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Die Jahresgöttin singt (Andere Gedichte)

 Die Jahresgöttin singt

 Von Theobald Tiger

So komm ich über Nacht zu euch geschritten
 mit Amor neben mir.
Ich bin hier etwas fremd und möchte bitten:
 Macht mir nur viel Pläsier!

Ich bin das neue Jahr und will doch hoffen:

wir habens miteinander gut getroffen.

Ich will euch lieben. Seht in meine Augen –
 Sie sind ein wenig schwül.
Ihr jammert? Die Regierung will nichts taugen?

 Mich läßt das ziemlich kühl.

Hat man euch auch in Ost und West genommen:
Wenn ihr nur wollt –
 das Glück kann wiederkommen!

Ich bin ein Weib, und ich versteh nur wenig

 von eurer Politik.

Ich bin ein junges Weib – ihr Herrn, ich sehn mich
 nach einer Republik.
Ihr seid noch schließlich mit den Fürsten allen
– verzeiht! – erheblich hinten abgefallen.

Die Herzen hoch! Erholt einmal das Land sich,

 wird alles besser sein.
Ich bin die Göttin 1920.
Ich bring das Glück herein.
     Komm, Amor! Zeig dich einmal rund im Kreise!

     Licht soll es werden, wie es einstmals war!

     Ich aber wünsch euch – sehr verliebt und leise –
 ein frohes neues und ein bessres Jahr!



Eingetragen am 08.11.2011 09:33:35 von 2rhyme
Autor: Kurt Tucholsky
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org



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