Erwachen (Andere Gedichte)
Erwachen. Noch einmal ließ der Winter wehn Im finstren Trotze seine Fahnen; Er hieß die Bäche stille stehn Und wehte Straßen zu und Bahnen.
Er füllte ganze Thäler aus In einer Nacht mit Schneeslasten, Begrub im Wald das Försterhaus Und knickte schlanke Schiffesmasten. In voller finstrer Größe stand
Er aufgerichtet auf dem Posten Und winkte mit der weißen Hand Das Schneegewölk herauf von Osten. Er lachte in der Stürme Schlacht, In des Gestöbers graue Wirren,
Und ließ die blanke Harnischpracht, Die helle Eisesrüstung klirren. Er schlug ans Schwert die Eisenfaust, Als werde Herr der Macht er bleiben – Doch wir, gehudelt und gezaust,
Wir schauten spöttisch in das Treiben, Denn ob des Himmels Blau verschwand – Es ließ sich Niemand bange machen; Wir wußten, vor der Thüre stand Des Lenzes lächelndes Erwachen.
Mag nochmals drum in Wald und Flur Gepflanzt des Winters Banner stehen – Wir grüßen doppelt freudig nur Des lauen Thauwinds rastlos Wehen, Die Knospe, die verstohlen springt
An Busch und Baum, auf Weg und Stegen, Die Drossel, die mit Locken singt Im Abendlicht nach sanftem Regen. Es schwillt das wintermüde Herz Dem Lenz, der es erlöst, entgegen,
Als werde Balsam auf den Schmerz Der tiefsten Wunde still er legen – Und schreckt in Träumen, die dem Schooß Des finstren Tartarus entstammen, Und schreckt vor Fragen riesengroß
Im selben Augenblick zusammen. Sobald zum blauen Himmelszelt Empor die ersten Lerchen schwirren, Geht scharf und deutlich durch die Welt Ein unheilvolles Waffenklirren,
Und Trommelwirbel übertäubt Des Pirols und des Finken Schlagen, Wenn weiß es von den Zweigen stäubt Nach kurzen, warmen Blüthetagen.
Der Vogel brütet still im Nest Im dichten Busch, in braunen Schollen – Da bebt der Grund in Ost und West Von der Kanonenräder Rollen, Da thürmt sich auf in fahlem Schein, Verderben kündend jedem Volke
Bis in der Witwe Kämmerlein, des Krieges finstre Wetterwolke. Die Völker könnten reich und stark In Eintracht beieinander wohnen; Doch diese Angst, sie saugt am Mark
Und an dem Herzblut der Nationen. Wie lange wird der Menschheit Strom In viele Bäche man zersplittern? Wie lange noch wird dies Phantom Das Frühlingshoffen uns verbittern?
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:53 von 2rhyme
Autor: Rudolf Lavant
Quelle: de.wikisource.org
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