Ostern (Gottschall) (Andere Gedichte)
Ostern. Ostern! Ueber fernen Hügeln Taucht empor dein erster Strahl; Auf der Morgenröthe Flügeln Schwebst du über Berg und Thal;
Frischer rauscht im Wald die Quelle Und des Bachs geschwätz’ge Welle, Plaudernd mit dem Felsgestein, Und es taucht die Anemone Ihre luft’ge Blüthenkrone
In der Frühe goldnen Schein. Und die Knospen werden rege, Und das Blatt die Hülle sprengt, Und im waldigen Gehege Alles sich zum Lichte drängt.
Nun entbrennt auf deinem Herde Die erlosch’ne Gluth, o Erde, Die aus deinen Tiefen bricht. Deine Lenze kehren wieder, Deine Blumen, deine Lieder,
Aber deine Todten nicht. Deine Todten, tiefgeborgen In dem mütterlichen Schoß! Selbst am Auferstehungsmorgen Giebst du nicht die Deinen los.
Ach, mit ihnen hat die Klage Goldne Träume künft’ger Tage, Schönes Hoffen aufgebahrt! Noch hat keine Sonnenwende Heißer Thränen Opferspende
Trostlos Trauernden erspart. Doch die Welt ist licht und offen, Und es naht ein schön’rer Tag! Laßt uns glauben, laßt uns hoffen, Daß er bald erscheinen mag!
Ja, ein künft’ges Ostern kröne Alles Gute, alles Schöne, Wälze von der Gruft den Stein, Daß die Menschheit auferstehe Aus dem tausendjähr’gen Wehe,
Glücklich, edel, frei und rein! Rudolf v. Gottschall.
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:40 von 2rhyme
Autor: Rudolf Gottschall
Quelle: de.wikisource.org
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