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Lied der Enterbten (Andere Gedichte)

Lied der Enterbten.

Mein Vater war ein Trunkenbold,
Er schlug mich, dass ich betteln sollt!
Mir blieb zum Trost die Mutter nur;
Die Mutter, die Mutter war eine Hur!

Hab’ nie ein sauber Kleid gehabt,

Kein guter Bissen mich hat gelabt;
Für mich sind nicht die zehn Gebot;
Das erste, was ich stahl, war – Brot!

Sie haben mich zur Schul gebracht,

Der Lehrer hat mich gering geacht’.

Sie wollten nicht sitzen neben mir;
Ich schien mir selbst ein unrein Tier!

Ich lief durchs Land auf blutiger Sohl,
Und war ich satt, so wars mir wohl.

Mein Rock in hundert Fetzen hing,

Als mich der Büttel im Dorfe fing.

Weiss nicht mehr, wanns zuerst geschah,
Dass ich dem Richter ins Auge sah.
Ich log ihn an, er schalt mich aus;

Sie steckten mich ins Besserungshaus.


Ein bischen Lieb und Sonnenschein
Hätten mir Retter können sein!
Ach Gott, man war mir ungelind
Und nannte mich ein Teufelskind!

Das war ich auch! Sie hatten Recht,

Und aus dem Kinde ward sein Knecht!
Die Hölle lacht mir im Gesicht,
Wenn aus der Scheuer die Lohe bricht!

Ich hass’ das Volk in Stadt und Land;

Doch klebt kein Blut an meiner Hand,

Und heut Grit hab ich, wie zum Trost,
Ein kleines Bettelkind gekost. –

Wir sind enterbt auf weiter Welt
Wie Laub, das von den Bäumen fällt!

Wir welken schnell im Sonnenbrand,

Der Sturinwínd jagt uns durch das Land!

[278]

Begrabt mich lebend, schließt mich ein,
So ist doch eine Zelle mein!
So will ich grübeln in enger Haft,

Wozu Gott Meines gleichen schafft?


In Bibel und Gesangbuch still
Sonntage ich bnchstabieren will
Und warten, ob mirs wiederfährt,
Das Einer kommt, der mich bekehrt!


Theodor Vulpinus

Eingetragen am 08.11.2011 09:34:25 von 2rhyme
Autor: Theodor Vulpinus
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org



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