Weihnachtsabend (Storm 1852) (Andere Gedichte)
Weihnachtsabend. 1852. Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll, Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus. Weihnachten war’s; durch alle Gassen scholl Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.
Und wie der Menschenstrom mich fortgespült, Drang mir ein heiser’ Stimmlein in das Ohr: „Kauft, lieber Herr!“ Ein magres Händchen hielt Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor. Ich schrak empor; und beim Laternenschein
Sah ich ein bleiches Kinderangesicht; Weß Alters und Geschlechts es mochte sein, Erkannt’ ich im Vorübertreiben nicht. Nur von dem Treppenstein, darauf es saß, Noch immer hört’ ich, mühsam, wie es schien:
„Kauft, lieber Herr!“ den Ruf ohn’ Unterlaß; Doch hat wohl Keiner ihm Gehör verliehn. Und ich? – War’s Ungeschick, war es die Scham, Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind? Eh’ meine Hand zu meiner Börse kam,
Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind. Doch als ich endlich war mit mir allein, Erfaßte mich die Angst im Herzen so, Als säß’ mein eigen Kind auf jenem Stein, Und schrie nach Brod, indessen ich entfloh.
Eingetragen am 08.11.2011 09:35:27 von 2rhyme
Autor: Theodor Storm
Quelle: de.wikisource.org
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