Der Frühling und die Minne (Andere Gedichte)
Der Frühling und die Minne. Auf Wald und Haide überall Ertönet heller Hochzeitschall, Die Lande steh’n in grünem Schein, Der klare Himmel blaut darein,
Und in den blum’gen Feiersaal, Da führt der Lenz sein süß Gemahl, Die ist genannt Frau Minne. Er pranget, wie ein Bräut’gam thut, Im frischen, freudenkühnen Muth;
Sie blicket süßverschämt darein, Möcht’ lieber ungesehen sein; Sie liebet nicht den lauten Schall, Doch wirkt sie leise überall Im Herzen und im Sinne.
Du Mägdelein im Lockenhaar, Was sitzest du der Freuden bar? Komm’ mit mir in mein Gartenhaus, Da sieht man weit in’s Land hinaus; Die Blumenbeete keimen jung,
Auch ist dir Freudensang genung Und würzig Weh’n darinne. Dort hören wir im Laubgezelt Den Frühling jubeln durch die Welt, Und lauschen, wie im Innern schafft
Der Liebe zarte Himmelskraft. In jungen Herzen ist die Statt, Darin am liebsten Hochzeit hat Der Frühling und die Minne. In Sonntagsruhe liegt die Welt,
Kirchglocken läuten durch das Feld; Die Vöglein sind verstummet fast, Sie halten kurze Mittagsrast, Die Winde schlummern allerort, – Die treuen Blumen duften fort,
Ihr Hauch will nicht vergehen. So klinget aus in uns’rer Brust Des Lebens laute Frühlingslust, Und Sinn und Denken schlummert ein, – Die Herzensminne wacht allein.
Wir halten träumend uns im Arm Und fühlen nur im Herzen warm Der Liebe Athem wehen. So soll, wenn Lenz und Lust vergeh’n, Die treue Minne noch besteh’n!
Und fällt vom Haupt uns in den Staub Des Lebenskranzes letztes Laub, So fülle sie in Grau’n und Tod Mit der Erinn’rung Abendroth Die nachtumhüllten Sinne.
Und trotz der Menschen Widerstreit Die Liebe glaubt Unsterblichkeit. Auf Erden läßt von seiner Braut Der Frühling sterbend, kaum getraut; Doch in dem namenlosen Land,
Da strahlt in ew’gem Hochzeitband Der Frühling und die Minne.
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:14 von 2rhyme
Autor: Wilhelm Hertz
Quelle: de.wikisource.org
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