Der bleiche, herbstliche Halbmond (Andere Gedichte)
Der bleiche, herbstliche Halbmond Lugt aus den Wolken heraus; Ganz einsam liegt auf dem Kirchhof’ Das stille Pfarrerhaus.
Die Mutter liest in der Bibel, Der Sohn, der starret in’s Licht, Schlaftrunken dehnt sich die ält’re, Die jüngere Tochter spricht: Ach Gott! wie Einem die Tage
Langweilig hier vergeh’n; Nur wenn sie Einen begraben, Bekommen wir etwas zu sehn. Die Mutter spricht zwischen dem Lesen: Du irrst, es starben nur Vier,
Seit man deinen Vater begraben, Dort an der Kirchhofsthür’. Die ält’re Tochter gähnet: Ich will nicht verhungern bei Euch, Ich gehe morgen zum Grafen,
Und der ist verliebt und reich. Der Sohn bricht aus in Lachen: Drei Jäger zechen im Stern, Die machen Gold und lehren Mir das Geheimniß gern.
Die Mutter wirft ihm die Bibel In’s mag’re Gesicht hinein: So willst du, Gottverfluchter, Ein Straßenräuber seyn! Sie hören pochen an’s Fenster,
Und sehn eine winkende Hand; Der todte Vater steht draußen Im schwarzen Pred’gergewand.
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:13 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
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