Der Papagai und Rabe (Andere Gedichte)
Der Papagai und Rabe. Ein Papagei und Rabe fanden sich in Einem Vogelbauer eingesperrt. Der Papagei erschrack vorm häßlichen Gesellen, und sprach voller Unmuth so:
„Welch eine widrige Gestalt! Sein Blick, und seine Art, wie sie abscheulich sind! O Rabe, wäre zwischen mir und dir ein Raum von Orient zu Occident. Wer dich am Morgen erblickt, dem wird die Schöne des Morgens
Nacht. Er beginnt mit dir einen unseligen Tag. Ein Unholder gehört nur mit Unholden zusammen; aber wo fändest Du irgend noch Einen, wie Dich?“ Und wie dem Papagei des Raben, war dem Raben auch des Papagei Gesellschaft.
Er streicht die Klauen, klagt sein Schicksal an, und wünscht sich, in Würde zu spatziren mit Seinesgleichen auf der Gartenmau’r. „Gütiger Himmel, was hab’ ich verübt, daß diesem Unedlen, diesem Thoren du mich, Ihm zum Gesellen erkohrst?
Wäre sein Bild an der Mauer gemahlt; ich flöge von dannen, wär’ er im Paradies, flög ich zur Höllen hinab. Einem geistlichen Mann, dem Raben, o schändliche Strafe, die ihn mit Papagei’n, Schwätzern und Buben gesellt!“ –––– So fand sich einst ein ernster Derwisch im Gelag der Lustigen. Er saß betrübt bei ihren Schwänken, bis ein Freier sprach: „Findest du dich beleidet von Uns? So beleidest du uns auch:
warum kommst du hieher? da wir nicht kommen zu dir. Hier bist du, wie ein dürres Holz im Garten der Anmuth, wo eine Blume sich frölich der andern vermählt; Bist ein widriger Wind für unsre Segel, der Schnee bringt, bist ein unschmelzbar Eis mitten in schmelzender Luft.“
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:19 von 2rhyme
Autor: Johann Gottfried Herder
Quelle: de.wikisource.org
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