Am Kindersarge (Andere Gedichte)
Ich stand in namenloser Pein Am Sarg von meinem Töchterlein. Man hatte mir schier meine Seele zerschnitten Mit Beileidsbesuchen und Trauervisiten,
Und immer noch mußt’ ich mit dankendem Neigen Die blutenden Wunden im Innersten zeigen. Verstört in meinem tiefsten Sein, Stand ich am Sarg vom Töchterlein. Am Abend blieb ein Bettchen leer;
Da fiel’s auf’s Herz mir centnerschwer. Die Mutter, sie räumte nun Kisten und Spinde Die Spielsachen all’ vom gestorbenen Kinde, Und d’rauf in der Nacht, von dem Grame zerrissen, Wie haben wir beide geschluchzt in die Kissen,
Und uns verklagt in blindem Wahn: Nicht Hülfe sei genug gethan! Wohl kam der Schlaf zuletzt herbei, Doch ward ich nicht vom Jammer frei. Die zitternden Lippen, geöffnet zum Flehen,
Die zuckenden Händchen, die hab’ ich gesehen Im Traum in der Nacht, auch die brechenden Blicke. Da hab’ ich gehadert mit meinem Geschicke – Verzeih’ mir’s Gott! – als ich erwacht Nach jener Folterqual der Nacht.
O sieh! Am Morgen in die Stub’ Schlich unser Mädel, unser Bub’, Sie streichelten freundlich uns Stirne und Wangen! Sie hielten uns liebend und kosend umfangen, Und als wir geschaut in die frischen Gesichter,
Da ward es im Herzen uns leichter und lichter, Sie sprachen leis’: „Mama, Papa, Weint nicht! Wir sind ja auch noch da.“ Dann, allgemach, ertrug gefaßt Die Brust des Kummers schwere Last.
Wir hielten umschlungen mit doppeltem Lieben Die herzigen Kinder, die uns noch geblieben, Und glaubten zu seh’n in der Aeugelein Scheinen Den Abglanz vom Aug’ der begrabenen Kleinen. So ward zur Wehmuth uns die Pein
Um’s frühgestorb’ne Töchterlein.
Eingetragen am 08.11.2011 09:32:58 von 2rhyme
Autor: Emil Rittershaus
Quelle: de.wikisource.org
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