Schön Heite (Andere Gedichte)
Schön Heite. In finstrer Nacht vom Felsenstein Flimmt blutig trüb ein Feuerschein, Und in dem Schimmer sitzet Ein Bild, nicht Mädchen und nicht Weib,
Goldhaar umspinnt den nackten Leib, Ihr großes Auge blitzet. Sie lehnet regungslos am Baum, Das Haupt nur wiegt sie wie im Traum, Die Zauberin Schön Heite.
Und wer die öde Straße zieht, Dem singt ihr Mund ein seltsam Lied, Ein Lied zum ew’gen Leide. Sie lag im Grabe manches Jahr, Bis daß ihr Zauber fertig war,
Um Grab und Tod zu zwingen. Doch nur dem Haupt ward Lebenskraft, Ihr Leib ist noch in Todeshaft, Den konnt’ sie nicht entringen. Noch prangt der Glieder Marmorpracht, Die Brüste scheinen durch die Nacht
Wie weiße Todtenrosen. Doch Alles wär’ des Moders Raub, Würd’ nicht mit diesem schönen Staub Manch warmes Leben kosen. Denn wer ihr in das Auge sieht,
Den bannt ihr süßes Zauberlied, Der kommt nicht mehr von hinnen. Ihr Lächeln flammt ihm durch das Blut, Er brennt in wilder Wahnsinnsgluth, Den todten Leib zu minnen.
O sterbensbange Liebeslust! Wie pressest du des Jünglings Brust Im letzten Kampf zusammen! Schön Heite ist erbarmungslos, Sie saugt in ihren kühlen Schooß
All seines Lebens Flammen. Der Mond steigt auf, das Roth verglimmt, Ein formlos Nebelbild verschwimmt Im Tanne trüb’ und trüber. Der bleiche Buhle regt sich nicht.
Wehlächelnd starrt sein Angesicht Zum öden Wald hinüber.
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:58 von 2rhyme
Autor: Wilhelm Hertz
Quelle: de.wikisource.org
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