An den Schlaf (Zerstreute Blätter) (Andere Gedichte)
An den Schlaf. Gott des Schlafes, Freund der Ruh, Dessen dunkle Schwingen Uns in sanftem, süßem Nu Zu den Auen bringen,
Die ein schöner Licht erhellt, Wo in einer andern Welt Harmonieen klingen. Freund der Menschen, holder Gott! Unser halbes Leben
Ward, dem Ungemach zum Spott, Deiner Hand gegeben. Und sie herrscht im Reich der Ruh; Purpurblumen lässest du Auf uns niederschweben.
Schönbekränzter Jüngling, sei Sei auch mir willkommen, Der so oft dem Sklaven treu Seine Last entnommen, Der die Fessel ihm zerschlug
Und durch neuen süssen Trug Sein Gemüth entglommen. Meiner Hoffnung Flügel hebt Sich nur noch in Träumen. Du der sie mit Muth belebt,
Warum willt du säumen? Komm mit deiner süßen Macht: Laß, wie in der letzten Nacht, Mich Verwandlung träumen.
Denn seit Psyche niedersank
Aus des Himmels Auen, Sehnt sie sich Aeonenlang Wieder aufzuschauen; Und dem Flügel, den sie regt, Den sie, ach zerknickt! bewegt,
Mag sie nimmer trauen. Holder Schlaf, mit Deinem Thau Heilst du ihre Schwingen, Muthig auf zur Lebensau In das Land zu dringen,
Wo in reinem süßem Ton – – Augen sinkt! Ich höre schon Harmonieen klingen.
Eingetragen am 08.11.2011 09:32:59 von 2rhyme
Autor: Johann Gottfried Herder
Quelle: de.wikisource.org
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