Die Judenverfolgung in Rußland (Andere Gedichte)
Die Judenverfolgung in Rußland. (1891.) Wenn sie in Leipzig sich versammeln Und dort, nachdem sie pokulirt, Ihr altes, blödes Credo stammeln Von Juda, das die Welt regiert;
Wenn sie in jeder Tonart hassen, Wenn Stöcker zu den Treuen spricht, So kann man sie gewähren lassen – Sie bellen, doch sie beißen nicht. Doch wenn im weiten Reich des Zaren,
In dem die Sonne nicht versinkt, Gelassen den Kosackenschaaren Der unumschränkte Herrscher winkt, Wenn er den ewig Heimathlosen Die letzte Zufluchtsstätte raubt,
Dann reißt den Kranz aus weißen Rosen der Menschheit Engel sich vom Haupt. Du stolzes, prahlendes Jahrhundert, Das rastlos neue Pfade bahnt Und sich so oft und gern bewundert –
Wann hast du solche Schmach geahnt? Und hallt ein Schrei durch alle Lande Von Kontinent zu Kontinent, Verkündend laut, daß Rußlands Schande Verzehrend dir im Herzen brennt?
Du solltest flammen, solltest trauern, Und findest in der Seele kaum Zu einem frostigen Bedauern, Zu einem Achselzucken Raum! Wer hätte das zu Lessing’s Zeiten
In trüben Stunden nur gedacht? Fürwahr, bei allem Vorwärtsschreiten Hat man es herrlich weit gebracht! Und wären’s wenigstens die Echten, Die da Millionen eingesackt,
Die man, den Kantschu in der Rechten, In die Kibitke höhnend packt! So aber werden sie entschlüpfen, Sei’s so, sei’s anders, der Gefahr, Denn die Kosackenherzen hüpfen
Und fühlen menschlich – gegen baar. Sie bleiben fühllos wie die Wände Wenn dir vom Aug’ die Thräne tropft, Allein sie haben hohle Hände, Die man mit Rubelscheinen stopft.
Man bringt, daferne man beschnitten, Tribut zur rechten Stunde dar Und wird auch fernerhin gelitten – Das Gold ist mächt’ger als der Zar. Die sie vor ihre Hütten setzen
Mit Weib und Kind mit roher Hand, Die sie aus ihren Städten hetzen Ins öde, graue Steppenland,
Die wehrlos und verzweifelt weinen In fremder Welt in Angst und Noth,
Das sind die Armen, Schwachen, Kleinen, Die sich gemüht ums schwarze Brot. Dem Volke gilt’s – doch nicht die Reichen, Die Herren über’s Gegengift – Die Armen sind’s, die Hungerbleichen,
Die des Ukases Härte trifft. Und weil es so, weil alles Klagen Umsonst zu tauben Ohren sprach, Sei dieser Schand-Ukas geschlagen Für ewig an den Pfahl der Schmach!
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:35 von 2rhyme
Autor: Rudolf Lavant
Quelle: de.wikisource.org
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